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Erträumte Realität.
Wie denken, bauen und planen architecten jan de vylder inge vinck aus Brüssel? Ein Gespräch mit Jan De Vylder und Inge Vinck.
Erträumte Realität.
Erträumte Realität.
Finstral Magazin F_03
Framing Light: 164 Seiten Gespräche, Essays und Meinungen zu Themen aus dem Großraum Architektur.
„Architektur stellt eine Chance auf ein abenteuerliches und sich veränderndes Universum dar, wie eine erträumte Realität.” So betrachten Inge Vinck und Jan De Vylder die Arbeiten ihres neuen Büros, das sie vor drei Jahren gründeten. „Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen ist die Art und Weise, wie wir mit unserem neuen, kleinen Büro die Dinge betrachten, vielleicht viel angemessener, als es mit unserem größeren Büro früher der Fall war”, sagt Jan De Vylder. „Damit meine ich natürlich den Klimawandel, aber auch die Tatsache, dass die Gesellschaft heutzutage von Architekten mehr erwartet als nur eine Reflexion über das Handwerk.”

Der Silberne Löwe auf der Architekturbiennale in Venedig 2018, den sie gemeinsam mit Filip Dujardin und Gideon Boie von BAVO gewannen, wurde für die im Kontext des Projektes Caritas entstandene Installation Unless Ever People vergeben. Das psychiatrische Zentrum im belgischen Melle ist das Ergebnis eines langen Partizipationsprozesses mit den Nutzerinnen und Nutzern der Einrichtung. Im Zuge dessen wurde der ursprüngliche Auftrag – Erweiterung und Neubau als Ersatz der vorhandenen Gebäude – grundlegend hinterfragt und durch den Einsatz neuartiger typologischer Forschung diversifiziert.

Inge Vinck und Jan De Vylder arbeiten an Projekten sehr unterschiedlichen Maßstabs. Von kleineren Bauprojekten wie der Bogenhalle in Lievegem bis zu Großaufträgen wie CHA PEX, der Sanierung und Umnutzung des Palais des Expositions in Charleroi in Zusammenarbeit mit dem Büro AgwA aus Brüssel. Aus der riesigen ehemaligen Ausstellungshalle mit über 60.000 Quadratmetern aus dem Jahr 1953 soll ein Kultur- und Kongresszentrum mit Parkhaus werden. Die Architekten haben sich dafür entschieden, nur einen kleinen Teil des Gebäudes thermisch und akustisch zu modernisieren und den Hauptteil in seinem ursprünglichen Zustand zu belassen. Diese quasi überschüssige Fläche wird als Empfangs- und Begegnungsraum, als Parkplatz oder für Großveranstaltungen wie Konzerte genutzt. Bis 2023 soll der „städtische Konnektor” fertiggestellt werden.

Wie repräsentativ ist das Projekt CHA PEX für Ihre Arbeit?
Inge Vinck und Jan De Vylder: Dieses Projekt steht für nahezu alles, was wir tun. Von der Herangehensweise an den Wettbewerb bis zur Ausführung. Wir haben bereits einen Folgeauftrag für dieses Gebäude erhalten, noch bevor es überhaupt fertiggestellt ist. Es kristallisierte sich heraus, dass noch ein Kongresszentrum in das bestehende Projekt integriert werden soll. Das ist großartig und bringt gleichzeitig die Herausforderung mit sich, den eigenen Entwurf noch vor der Umsetzung anzupassen und damit zu relativieren. Aber das Wichtigste ist vielleicht, dass wir durch dieses Projekt eine wirtschaftlichere Betrachtungsweise entwickelt haben. Für Gebäude dieser Größenordnung ist eigentlich das Dreifache des Budgets erforderlich. Wir haben uns trotzdem entschieden, nur ein Drittel des verfügbaren Budgets in architektonische Eingriffe zu stecken und den übrigen Teil für die Sanierung des Gebäudes zu verwenden. Dies war eine Kehrtwende in unserem Denken, die wir „die 33 %” getauft haben.

Auch die Ausschreibungsunterlagen verdeutlichen, wie wir arbeiten: ohne Details. In der Architekturszene gehört es zum guten Ton, schöne Details zu entwickeln. Das kann sich auf Dauer als sehr manieristisch erweisen. Die normalen Details aus dem Katalog sind gut genug. Wir haben beispielsweise geplant, für alle Geländer des Gebäudes Absperrgitter zu verwenden. Da der Sicherheitsbeauftragte damit nicht einverstanden war, haben wir sie nachgebaut. Das war angesichts der enormen Fläche des Gebäudes und der großen Menge, die wir bestellen mussten, interessant. Wir haben sie auch etwas größer gemacht, damit wir sie wirklich als „gestohlenes Objekt” einsetzen konnten. An einigen Stellen passte das nicht. Und genau diese Unvollkommenheit macht die Schönheit des Projekts aus.

CHA PEX stellt auch Standards, Vorschriften und Normen im Zusammenhang mit der Neunutzung in Frage. Solange man an Umnutzungen mit Normen und Vorschriften für Neubauten herangeht, verschenkt man ein großes räumliches Potenzial.

Neben Ihrem Architekturbüro unterrichten Sie auch. Was wollen Sie der nachfolgenden Architektengeneration mit auf den Weg geben?
Inge Vinck: Ich unterrichte im Masterstudium des Fachbereichs Baukunst an der Kunstakademie in Düsseldorf. Im Laufe des Semesters arbeiten wir mit den Studierenden in unterschiedlichen Bereichen: In der ersten Phase entwerfen jeweils vier Studierende gemeinsam einen Raum, diese Räume bilden dann ein Gebäude und werden anschließend in ein fiktives oder bestehendes Gelände ihrer Wahl eingefügt. Mir ist es sehr wichtig, dass die Studierenden lernen zusammenzuarbeiten, denn im Berufsleben ist Zusammenarbeit die Norm.

Jan De Vylder: Ich bin seit einigen Jahren in der Lehre und Forschung an der ETH Zürich tätig. Ich arbeite mit den Studierenden an Projekten, die auf den 33%-Erkenntnissen des CHA PEX aufbauen. Wir untersuchen, wie man mit einem Drittel des Budgets dennoch Umnutzungen realisieren kann. Ich möchte das Thema Umnutzung auch auf die politische Tagesordnung bringen und aktiv an laufenden gesellschaftlichen Diskussionen teilnehmen. Letztendlich geht es darum, mehr mit weniger zu schaffen und aufzuzeigen, dass Gebäude, die andere eventuell abgeschrieben haben, noch eine Chance verdienen.
Erträumte Realität.
CHA PEX, Charleroi (architecten de vylder vinck taillieu in Zusammenarbeit mit AgwA) Die Sanierung des Palais des Expositions behält einen Großteil der Strukturen bei und vervielfacht das Nutzungspotenzial der Räume.
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