Schloss Gandegg mit seinen charakteristischen vier Rundtürmen und der Ringmauer erfuhr durch den Architekten Martin Feiersinger im letztem Jahr eine bedeutsame Ergänzung. Die ehemaligen Stallungen, die an der Südwestecke des Ringmauertrakts angebunden sind, wurden zu Schlossbibliothek und Veranstaltungsort umgestaltet.
Über die Loggia mit ihren drei Säulen, die nun ihrem Namen alle Ehre macht, gelangt man durch das sogenannte
Schlüssellochtor zur
Roten Bar. Der flaschengrün verglaste Ausschnitt im Tor erinnert mit seiner Form an ein überdimensionales Schlüsselloch und spielt gleichermaßen auf das Motiv der
Tür in der Tür an. Noch vor dem Eintreten gewährt er bereits Einblick auf den rot gefliesten Tresen und den eigens von Feiersinger entworfenen Spiegelluster. Dieser
Scheibendodekaeder weist auf Feiersingers Interesse an Geometrie hin.
Für den Umbau orientierte er sich am, um die Entstehungszeit der Ringmauer, 1509 in Venedig publizierten Buch
Divina Proportione von Luca Pacioli. Das Buch beinhaltet die Illustrationen von Leonardo da Vinci über platonische Körper, die Feiersinger zur Gestaltung des Interieurs inspirierten. „Im Umbau verfolgte ich eine Strategie der möglichst unsichtbaren Eingriffe in die Bausubstanz. Bei der Ausstattung der Bibliothek hingegen kamen kräftige Farben und Formen zum Einsatz und das Wechselspiel mit Referenzen – von frühen Druckwerken bis zur Gegenwartskunst.“
Das Interieur besteht aus wuchtigen, fast skulpturalen
Bücherbögen und
Halbkreistischen. Aneinandergereiht kreiert die Ausstattung variable Formen und führt damit das Spiel mit Geometrie fort. Im Tonnengewölbe hängen die
Hexagon-Balkenluster als technische Pendants zum Spiegelluster, während die
Grünen Georginen den Formenkanon mit der Ellipse ergänzen. Rote, drei- oder mehrbeinige
Quallenhocker wabern als Schwarm im Bibliothekssaal herum und mittendrin steht der multifunktionale türkisfarbene
Schwesternsitz.
Fotos Werner Feiersinger
Martin Feiersinger Geb. 1961 in Brixlegg; Architekt, lebt in Wien. 1981-86 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und 1987-89 an der Rice University in Houston; seit 1989 eigenes Architekturbüro in Wien. Zahlreiche Bauten u. a. 1991-98 Europan 2, Städtische Wohnhausanlage Colerusgasse, Wien; 1991-93 Pavillon, Wiener Neustadt (mit Werner Feiersinger); 1993-98 Kindertagesheim Grosserweg, Wien; 2002-05 Bauernhofumbau Brizerhaus, Ramsau; 2005-12 Blockhaus Monika Scheitnagl, Fügen; 2006-17 Wohnhausanlage Kudlichstraße, St. Pölten; 2013-14 Wagrambühne, Königsbrunn am Wagram (mit Werner Feiersinger); 2017-19 Kircheninnenraumadaption, St.-Georgs-Kathedrale, Wiener Neustadt (mit Werner Feiersinger).
martinfeiersinger.at